Krafttraining: Muskeln gegen Schmerzen spielen lassen
Karin Pollack, 11. Februar 2013, 08:01
Ein trainierter Rücken ist Garant für schmerzfreies Bewegen – Vor allem nach Bandscheibenvorfällen hat der Muskelaufbau Priorität
Eines Tages trifft es einen wie der Blitz: der unerträgliche Schmerz irgendwo im Rücken. „Ab dem 30. Lebensjahr sitzen Menschen zunehmend länger im Büro am PC, haben mehr Stress, bewegen sich weniger, und die Regenerationsfähigkeit nimmt langsam ab“, sagt der Wiener Orthopäde Paul Köstler und erklärt damit einige Ursachen für die unangenehmen Beschwerden, die schlimmstenfalls als Bandscheibenvorfälle im Krankenhaus landen.
„Mehr Bewegung“ hören Leidgeplagte dann und bekommen diesen Ratschlag mit auf den Weg. Zuerst beginnen sie eine Physiotherapie. „Die Patienten wissen sehr oft nicht, von wo genau das Problem wirklich ausgeht und wie sie es beeinflussen können“, berichtet Karin Tresohlavy, Physiotherapeutin in Steyr. An der FH für Gesundheitsberufe Oberösterreich unterrichtet sie medizinische Trainingstherapie. Dabei geht es erst einmal darum, Bewegungsmuster zu analysieren, Verletzungsgefahren zu identifizieren und ganz allgemein eine Wahrnehmung für den eigenen Rücken zu schaffen.
Komplexe Anatomie
Etwa 70 Rückenmuskeln sind in der allumfassenden Beweglichkeit involviert. Jene, die direkt mit der Wirbelsäule verbunden sind, werden als tiefe Rückenmuskulatur bezeichnet, sie sind von vielen darüberliegenden Muskelgruppen bedeckt. Und weil alles mit allem verbunden ist, schult Tresohlavy die Aufmerksamkeit für gefährliche, aber nötige Rotationsbewegung, verordnet tägliche Übungen. „Ich kann helfen, doch langfristig geht es um Eigenverantwortung und lebenslanges Trainieren“, sagt sie.
Das sagen auch Orthopäden wie Paul Köstler, der Patienten nachhaltige Therapiekonzepte bietet. Wirbelsäulenstützpunkt heißt sein an die Ordination angeschlossenes Trainingszentrum, in dem er seit 2001 Defizite der Rückenmuskeln mit speziellen Maschinen und unter Anleitung von Fachpersonal messen und analysieren kann. „EKG des Rückens“ nennt er das Prozedere. Die dabei gewonnen Daten werden mit einer Datenbank „gesunder Rückenmuskeln“ verglichen. Das Ergebnis ist die Basis für ein maßgeschneidertes Rekonditionierungsprogramm. Wer zweimal die Woche eine Stunde trainiert, sei seine Schmerzen los, sagt Köstler.
„Das große Problem ist, dass mit dem Schmerz oft auch die Motivation für die Bewegung nachlässt“, sagt Sportwissenschaftlerin Karin Ortmayer von Kieser-Training, ebenfalls Anlaufstelle für Rückenschmerzgeplagte. Ziel sei deshalb, Bewegung als Routine im Leben zu integrieren, „wie Zähneputzen“, zweimal 30 Minuten pro Woche seien genug, sagt sie und verweist auf eine Studie, die Kieser mit der Uni Frankfurt durchgeführt hat (Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Jahrgang 62, Nr. 3 2011). Demnach führte das Training an den Maschinen zu einer signifikanten Verbesserung der Schmerzen. „Muskulatur isoliert trainieren“, rät Ortmayer.
Teufelskreis durchbrechen
Sascha Sajer, Facharzt für physikalische Medizin am Evangelischen Krankenhaus in Wien, bestätigt das: „Der Körper stellt den schmerzhaften Bereich im Rücken automatisch ruhig, die Folge ist eine Schonhaltung, die die Muskeln immer mehr verkümmern lässt“, erklärt er einen Teufelskreis, der zu Trainingsbeginn erst einmal durchbrochen werden muss. Ziel ist es, die Muskulatur wieder ins Gleichgewicht zu bringen und geschwächten Partien zu aktivieren. Im Kieser-Training wird das Becken fixiert, einzelne Muskelgruppen können so isoliert gekräftigt werden.
Sajer beobachtet immer wieder, dass vor allem psychische Belastungen zu Rückenbeschwerden führen. „Stress und langes Sitzen führen zu chronischen Verspannungen“, sagt er, durch gezielte Bewegung ließe sich das aber ausgleichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kräftigung und Koordination der Bauchmuskulatur, da damit die Wirbelsäule unterstützt und der Rücken langfristig geschont werden kann.
Therapeutisches Turnen wie bei Kieser oder im Wirbelsäulenstützpunkt ist allerdings nicht jedermanns Sache. Viele gehen lieber ins Fitnessstudio. „Wenn ich sehe, was Menschen dort alles falsch machen, wird mir übel“, sagt Orthopäde Köstler, der weiß, dass falsch durchgeführte oder überdosierte Übungen zu massiven Beschwerden führen können.
Bewegung im Alltag
Tom Rath, Diplomrückentrainer in verschiedenen Fitnessstudios in Wien, gibt ihm recht. „Übungen zum Körperstraffen schaden oft mehr, als sie nutzen“, beobachtet er. Seine Ausbildung hat er bei der Schweizer Rückenexpertin Karin Albrecht absolviert. Muskulatur lockern, Haltungsschulung und die Aktivierung der natürlichen Muskelkette stehen dabei im Zentrum. „Rückenschmerzen sind immer auch Kopfsache, aufrechte Haltung muss man üben so wie ein Baby, das Gehen lernt“, sagt Rath. Manche bräuchten eben 1000 Wiederholungen.
Doch er ist überzeugt, dass all jene, die ihre Muskeln verstehen, mit der Zeit wissen, was schlecht für sie ist. Ganz allgemein empfiehlt er, abseits von Fitness- und Trainingsstudios Bewegung in den Alltag einzubauen: niemals den Lift nehmen, ein paar Straßenbahnstationen zu Fuß gehen, im Büro öfters aufstehen, Sitzhaltungen wechseln, gerade dann, wenn Stress ist.
Starker Rumpf
Rumpfisometrie ist auch der Fokus im Zentrum für Bewegungsmedizin (MZA) in der Wiener Alser Straße. Haltungsmuskulatur, stabilisierende Wirbelsäulengymnastik und erst dann die Aktivierung der Bewegungsmuskulatur ist hier die Reihenfolge. „Wir haben in unserem Schwimmkanal ein Unterwasserlaufband mit Gegenstromanlage und damit die Möglichkeit, ohne Gewichtsbelastung die Muskulatur zu stärken“, sagt Orthopäde und MZA-Gründer Martin Gruber.
Powerhouse fühlen Rückentraining für alle, die es minimalistisch und ultragenau mögen, bietet Pilates, eine Trainingsprogramm zur Ganzkörperkräftigung. Gabriella Cimino, Gründerin des Pilates Center Vienna, lässt ihre Schüler Muskeln entdecken, von denen diese bis dahin keine Ahnung hatten: „Rippen schließen, abrollen und dabei den Buchstaben C formen.“ Selbst bei den simpelsten Bewegungen findet Cimino Fehler und wird nicht müde, diese zu korrigieren, „so lange, bis meine Schüler verstanden haben, wie sie ihren Rumpf – im Pilates heißt es Powerhouse – mit den eigenen Muskeln richtig stützen“, dann könne nichts mehr passieren. Anders stehen, anders sitzen, anders aufstehen: Das ist Pilates, eine Art Neustart in eine rückenschmerzfreie Zukunft. (Karin Pollack, DER STANDARD, 11.2.2013)